Europäische Geschichte dokumentiert durch Edelmetalle
Auf offiziellen Bildnissen überboten sie sich mit ernsten Blicken und akkurat gestutztem Bart – doch in Telegrammen gaben sich der deutsche Kaiser Wilhelm II. und sein russischer Amtskollege Zar Nikolaus vertraut: Als „dein sehr aufrichtiger und ergebener Freund und Vetter“ unterzeichnete Wilhelm seine Botschaften, im vertrauten Rahmen nannten sie einander „Willy“ und „Nicky“. Als Vettern konnten sie verwandtschaftliche Nettigkeiten austauschen, einander in den höchsten Tönen loben und den Verwandten mit allen Ehrungen überhäufen, welche das Protokoll hergab. Die „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ – so die Bezeichnung des Ersten Weltkriegs von Historikern – konnten die Monarchen aus dem Deutschen und dem Russischen Reich jedoch nicht verhindern.
Nicht nur familiär waren die Staatsführungen der beiden europäischen Großmächte eng verwoben, auch in numismatischer Hinsicht gab es Gemeinsamkeiten: Bis ins frühe 20. Jahrhundert hinein setzten sowohl das Deutsche Reich als auch Russland auf eine Deckung ihrer Währungen mit Gold, obwohl beide nicht Mitglied der „Lateinischen Münzunion“ (kurz: LMU) waren. Viele andere Staaten hatten auf dem europäischen Kontinent ab Mitte des 19. Jahrhunderts ein System mit vereinheitlichten Münzgrößen und gegenseitiger Anerkennung der Zahlungsmittel im grenzüberschreitenden Handel etabliert. Russland und Deutschland waren zwar offiziell nicht Teil des Gold-Clubs, setzten aber dennoch auf Gold als Münzmetall.
Während im Deutschen Reich die Goldmünzen zu fünf, zehn und zwanzig Mark im Umlauf waren, bot Russland eine noch breitere Palette an Goldmünzen für seine Bürger auf: Während des russischen Zarenreichs waren in Russland vier verschiedene Stückelungen in Gold im Umlauf: Neben einer kleinen Goldmünze zu 5 Rubel gab es eine Münze zu 7,5 Rubel, zu 10 Rubel und 15 Rubel, außerdem wurde eine XXL-Goldmünze zu 37,5 Rubel geprägt. Durch diese krummen Nominale gelang Russland praktisch „durch die Hintertür“ die indirekte Anbindung an die LMU-Standards, denn 7,5 Rubel entsprachen den LMU-Münzen zu 20 Währungseinheiten, also beispielsweise 20 Francs oder Lira. Auf den Münzen war üblicherweise der jeweilige Kaiser bzw. Zar abgebildet, lediglich auf den Goldrubel von Alexander II. wurde das Zarenwappen genutzt.
Der russische Goldstandard geht zurück auf Zar Nikolaus II. Er hatte zuvor Pläne einer neuen russischen Währung mit dem Namen „Rus“ (in Anlehnung an den „Franc“ aus Frankreich) vorangetrieben, doch das Projekt ging nicht über Probeprägungen hinaus. Unter Federführung des neuen Finanzministers Witte wurde im Jahr 1897 der Goldstandard eingeführt, um mehr ausländisches Kapital nach Russland zu locken. Doch der russische Goldstandard hatte nur eine kurze Lebensdauer – mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges konnte sich Russland die Golddeckung seiner Währung schlicht nicht mehr leisten. Zeitgleich endete auch die Herrschaft der Romanows, denn Zar Nikolaus II. war der letzte Vertreter dieser Dynastie, welche seit 1613 auf dem russischen Thron saß.
Die historischen Goldmünzen aus Russland sind heutzutage (bis auf wenige Ausnahmen) wegen ihrer großen Prägezahlen, welche nicht zuletzt durch die massiven Goldvorkommen in Russland ermöglicht wurden, als Alternativen zu klassischen Anlagemünzen beliebt. Allein vom Jahrgang 1898 der Fünf-Rubel-Münze ist die unvorstellbare Menge von 52,3 Millionen Stück geprägt worden – dies entspricht der ungefähren Prägezahl aller Vreneli-Goldmünzen aus der Schweiz.
Nach dem ersten Weltkrieg war die Geschichte der Münzprägung allerdings noch lange nicht beendet. Mit dem „Tscherwonetz“ wagten die Russen einen weiteren Versuch, eine goldene Handelsmünze zu etablieren. Die Münze wurde erstmals 1923 geprägt und zwischen 1975 und 1982 neu aufgelegt. Der russische Vorläufer des Krügerrand hatte in erster Linie symbolischen Wert: Die alten Zeichen der Herrscher, also vor allem der Adler mit Doppelkopf sowie die Insignien der Zaren (Krone, Zepter, Reichsapfel) mussten verschwinden. Stattdessen wurde mit einem Bauern, der in kraftvoller Pose unermüdlich die Felder bestellt, der Sozialistische Realismus inszeniert, der auch auf zahlreichen späteren Münzen, Briefmarken und Postkarten zu sehen ist. Und auch die modernen russischen Goldmünzen, welche während des Bestehens der UdSSR beispielsweise anlässlich der Olympischen Spiele in Moskau geprägt wurden, sind bei Sammlern und Anlegern bis heute stark nachgefragt.